In dem fiktiven Fürstentum, in dem das Märchen “Klein Zaches, genannt Zinnober” spielt, wird per Verordnung die Aufklärung eingeführt. Alles Zauberhafte wird verbannt, das Fantastische aus dem alltäglichen Leben ausgeschlossen. Nicht einmal donnern dürfe es, ohne die Erlaubnis des Fürsten, so heißt es im Dekret. E.T.A. Hoffmann übt auf diese Weise harsche Kritik an seinen Zeitgenossen, welche Wissenschaft und Verstand an höchster Stelle sahen. Sich dessen bewusst, sagt er jedoch, man solle das Märchen nur als “ohne allen Anspruch leicht hingeworfene[n] Scherz” verstehen. Was ist also dran an der Kritik? Wie wurde das Märchen verstanden und wie kann man es interpretieren?
Betrachten wir die strikte Trennung von Fantasie und Verstand, so fällt auf, wie merkwürdig diese anmutet. Die Aufklärung per Verordnung einzuführen ist an sich schon widersinnig und zeigt Hoffmanns Sicht auf das Zeitalter der Aufklärung. In seinen Augen haben die Aufklärung und ihre Gedanken einen zu hohen Alleingeltungsanspruch. In “Klein Zaches, genannt Zinnober” wird jeder “Feind der Aufklärung” - sprich die Feen und Magier - verbannt. Ohne, dass jene tatsächlich eine Gefahr sind.
Dadurch gerät das Gleichgewicht im Staate durcheinander und die Harmonie geht verloren. Die Bürger werden zu Karikaturen. Obrigkeitshörig sind sie versessen auf Orden und Titel. So gibt es den Orden des Grüngefleckten Tigers und Zaches wird zum Generaldirektor für natürliche Angelegenheiten ernannt. Alles hat seine Ordnung, aber der Zweck und die Poesie gehen verloren.
Diese Angst ist eine sehr persönliche bei E.T.A. Hoffmann und typisch für Dichter und Literaten der ausgehenden Romantik. Die Ideale der Poesie, Naturverbundenheit und des Fantastischen gehen verloren. Die industrielle Revolution steht vor der Tür und im deutschen Staatenbund herrscht ein straffes Regime. Ein Wechsel im Denken bahnt sich an und alte Ideale zählen nicht mehr.
Klein Zaches ist ein Sinnbild für die Verblendung der Zeit: Er ist selbst nicht wirklich handlungsfähig. Sein ganzes Wesen wird vom Zauber der Fee überschattet und geformt. An und für sich ist er hässlich und in keinster Weise positiv beschrieben. Durch den Zauber jedoch sieht das Volk in ihm ein Wunderwesen, unerreicht und in jeder Hinsicht perfekt. In der “Unnatur” von Klein Zaches sehen alle anderen das Schöne und Wahre.
Selbst das Wenige an Fantastischem, was noch zu finden ist - nämlich in den Personen von Rosabelverde und Prosper Alpanus - wird schon von der Aufklärung beeinflusst. Nach dem Magierduell trinken beide gemeinsam Kaffee: ein sehr bürgerliches und seltsam anmutendes Ritual für magische Wesen.
Als einziges Echo der verlorenen Harmonie und Poesie ist Balthasar zu sehen. Er trägt ein Gedicht voller Leidenschaft vor, in dem es um seine Liebe geht. Prosper Alpanus erkennt darin den Nachklang jener verlorenen Zeit und sagt: “ich liebe Jünglinge, die so wie Du, mein Balthasar, Sehnsucht und Liebe im reinen Herzen tragen.” Er lobt Balthasar, den Dichter, in höchsten Tönen.
Hoffmanns Zeitgenossen haben die Kritik durchaus zur Kenntnis genommen. Und das Märchen selbst einer Kritik unterzogen. Dies jedoch im Hinblick auf die Vermengung von fantastischem Märchenstoff und alltäglichen Begebenheiten. Der Mantel des Märchens sorgte - gemeinsam mit der schon erwähnten Aussage Hoffmanns, es nicht zu ernst zu nehmen - dafür, dass E.T.A. Hoffmanns Karikatur zwar erkannt, aber unbestraft blieb.
Die Figur des Kleinen Zaches wurde dann 1881 in Jacques Offenbachs Oper “Hoffmanns Erzählungen” wieder aufgegriffen. Hoffmann singt darin das Lied vom kleinen Zack. Durch die bis heute anhaltende große Popularität der Oper, wurde die Figur Klein Zaches besonders berühmt.
Auch heute noch bietet der von E.T.A Hoffmann beschriebene Staat Assoziationsmöglichkeiten und eine Projektionsfläche für aktuelle Geschehnisse. In einem Essay beschreibt der deutsche Autor Uwe Tellkamp, dass das Wesen der DDR in seinen Augen am ehesten dem Fürstentum in Klein Zaches glich. Ein Staat, in welchem die Albträume in die Wirklichkeit kriechen.
E.T.A. Hoffmanns Kunstmärchen unterhält und liefert gleichzeitig eine nicht zu unterschätzende Kritik an seiner Zeit. Auch heute noch, in einer Welt, die immer schneller und kurzatmiger wird, können Themen wie der Verlust der Fantasie oder ein Ungleichgewicht in der Harmonie noch aktuell sein. Die humoristische Karikatur einer Gesellschaft, die das Augenmerk für die schönen und wichtigen Dinge im Leben verloren hat, ist durchaus kein Phänomen, das nur für das 19. Jahrhundert gilt.