Russlands Geschichte – Russland hat nach dem Zerfall der Sowjetunion eine wechselhafte Entwicklung durchlaufen. Von Jelzins chaotischen Wirtschaftsreformen bis hin zur autoritären Herrschaft Putins. Willst du mehr erfahren? Lies weiter!
Russland – das ist für Deutschland der große Nachbar im Osten, der Gegner in zwei Weltkriegen, ein Land auf der Schwelle zwischen Europa und Asien, mächtig und oft auch gefürchtet. Für fast siebzig Jahre, von 1922 bis 1991, bildete Russland das Kerngebiet der Sowjetunion oder UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken), der dominierenden Macht im Warschauer Pakt. Mit dem Ende des Kalten Krieges zerfiel auch die Sowjetunion. Heute gilt Russland, oder genauer die Russische Föderation, als Fortsetzerstaat der Sowjetunion. Es besteht offiziell aus 89 Föderationssubjekten. Das ist der Oberbegriff für Verwaltungseinheiten wie Teilrepubliken, Regionen, Kreise und Gebiete, mit jeweils verschiedenem Ausmaß an Rechten und Autonomie. Von diesen werden sechs international nicht anerkannt, weil sie völkerrechtlich zum Gebiet der Ukraine gehören.
Im Vergleich zur Periode des Ost-West-Konfliktes während der Nachkriegszeit hat Russland in Osteuropa massiv an Einfluss verloren. Doch den Anspruch, eine Großmacht zu sein, die das Weltgeschehen mitbestimmt, hat Russland trotz seiner oft wechselhaften Geschichte in den letzten dreißig Jahren nicht aufgegeben.
Gorbatschow und die Öffnung der UdSSR
In Russland machen viele Menschen den Reformpolitiker Michail Gorbatschow für den Niedergang der sowjetischen Herrschaft verantwortlich. Doch in Wirklichkeit waren wirtschaftliche Probleme wie das Scheitern der Planwirtschaft und die hohen Kosten des Rüstungswettlaufs mit den USA, sowie die politische Stagnation und Isolation die Kernursachen für den Zerfall der Sowjetunion. Gorbatschow hatte lediglich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufgegriffen und versucht, durch Reformen den Kommunismus zu erneuern und zukunftsfähig zu machen. Doch seine Bemühungen blieben vergeblich.
Michail Gorbatschow (1931–2022) war ab 1985 Generalsekretär der KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion) und leitete in dieser Funktion zahlreiche Reformen ein. Ein wichtiger Kernbegriff seines Programms war die Perestroika (russ. „Umgestaltung”). Diese umfasste wirtschaftliche Reformen, wie die begrenzte Privatisierung von Staatsbetrieben, aber auch Glasnost (russ. „Öffnung”), also mehr Transparenz, Presse- und Meinungsfreiheit. Außenpolitisch vertrat Gorbatschow eine Politik der Abrüstung im atomaren Wettlauf mit den USA.
Bereits 1990 hatten die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, ihre Unabhängigkeit erklärt. Mit der Gründung der GUS (Gemeinschaft unabhängiger Staaten) durch Russland, die Ukraine und Weißrussland im Dezember 1991 war die Sowjetunion endgültig Geschichte. Gorbatschow blieb nur noch der Rücktritt als Staats- und Regierungschef. Für die ehemaligen Sowjetrepubliken begann damit eine Zeit des Umbruchs, die teils durch eine Hinwendung zur Demokratie nach westlichem Vorbild, teils durch Krisen und autoritäre Tendenzen geprägt war.
Russland unter Boris Jelzin: Reformen und Krisen
Erster demokratisch gewählter Präsident Russlands war schon seit Juni 1991 Boris Jelzin. Während eines kommunistischen Putschversuchs im August 1991 unterstützte er Michail Gorbatschow gegen die Putschisten, trieb dann aber die Unabhängigkeit Russlands voran. Unter Jelzin kam es zu massiven Reformen und Umwälzungen, die die Gesellschaft Russlands nachhaltig prägten.
Boris Jelzin (1931–2007) machte zunächst Karriere innerhalb der KPdSU und stieg bis 1981 in das Zentralkomitee der Partei auf. 1985 wurde er Parteichef von Moskau, schloss sich dann aber an die wachsende Reformbewegung an und wurde Mitglied im Kongress der Volksdeputierten. 1990 erklärte er seinen Parteiaustritt aus der KPdSU und wurde 1991 der erste Präsident Russlands. Jelzin war eine ambivalente, schillernde Persönlichkeit, und seine Amtszeit war geprägt von einem ständigen Machtkonflikt mit dem Parlament, wirtschaftlichen Krisen sowie auf persönlicher Ebene gesundheitlichen Problemen und Gerüchten über Alkoholismus und Korruption.
Politische und wirtschaftliche Reformen unter Jelzin
Von Beginn seiner Regierung an trieb Jelzin die Liberalisierung der Wirtschaft und den Übergang zur Marktwirtschaft in größtmöglichem Tempo voran. Die plötzliche Abschaffung der staatlichen Preisregulierung 1992 löste eine starke Inflation aus und stürzte viele Menschen in die Armut. Ein überstürztes Privatisierungsprogramm für Staatsbetriebe und Rohstoffe führte zur Entstehung einer neuen Oberklasse von reichen Oligarchen. Diese Umverteilung des Eigentums verschärfte die sozialen Gegensätze in Russland und sorgte damit für gesellschaftliche Probleme.
Der griechische Begriff Oligarchie bedeutet „Herrschaft von wenigen“, also die Ausübung der Regierungsgewalt durch eine kleine Elite. In Bezug auf Russland heute wird das Wort Oligarchen für die seit 1991 entstandene neue Oberschicht verwendet. Sie setzt sich teils aus sozialen Aufsteigern, teils auch aus früheren Staatsbeamten zusammen. Der Ursprung ihres Reichtums liegt im günstigen Erwerb von Rohstoffen und Aktien von früheren Staatsunternehmen, oft gegen Schmiergelder oder durch politische Beziehungen. Ihr Reichtum bringt großen politischen Einfluss mit sich, den sie in erster Linie zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen nutzen.
Die wirtschaftlichen Reformen wurden auf politischer Ebene begleitet vom Ende des kommunistischen Einparteiensystems und der Einführung freier Wahlen. Bereits 1990 war der erste Kongress der Volksdeputierten gewählt worden.
Die Verfassungskrise von 1993
Im März 1993 kam es zum offenen Konflikt zwischen Präsident Jelzin und dem Parlament, mit dem es seit langem Kompetenzstreitigkeiten gegeben hatte. Das Parlament leitete ein Impeachment-Verfahren (Verfahren zur Amtsenthebung) ein und erklärte den Präsidenten für abgesetzt. Im Gegenzug überschritt Jelzin seine verfassungsmäßige Kompetenz durch die Auflösung des Volksdeputiertenkongresses. Mit militärischer Hilfe setzte Jelzin sich gegen das gewählte Parlament durch.
Im Oktober 1993 trat eine neue Verfassung für die Russische Föderation in Kraft, in der das Amt des Präsidenten eine zentrale und starke Stellung erhielt. Der Präsident verkörperte die Exekutive und erhielt damit auch die Richtlinienkompetenz in der Politik und den Oberbefehl über die Streitkräfte sowie das Recht zur Ernennung und Entlassung des Ministerpräsidenten und zum Erlass von präsidentiellen Verordnungen. Das Parlament, bestehend aus zwei Häusern, der gesetzgebenden Duma und dem Föderationsrat, hatte kaum Möglichkeiten, die Machtfülle des Präsidenten zu kontrollieren. Immerhin wurde in der Verfassung von 1993 erstmals ein Katalog von Grundrechten festgeschrieben.
Weitere Krisen der 1990er Jahre
Aus russischer Sicht waren die 1990er Jahre ein Jahrzehnt, das von Krisen und wirtschaftlichem Niedergang geprägt war. Die Inflation erreichte einen ersten Höhepunkt in der Rubelkrise von 1994. Parallel dazu verstärkten sich die Unabhängigkeitsbestrebungen der russischen Teilrepubliken, und 1994 kam es zum ersten Tschetschenien-Krieg, der für Russland 1996 mit einer Niederlage endete.
Tschetschenien ist eine Teilrepublik im Süden der Russischen Föderation, mit der Hauptstadt Grosny. Im Jahr 1994 weigerte sich Tschetschenien, der Föderation beizutreten. Die sich anschließenden Kämpfe im Ersten Tschetschenien-Krieg endeten 1996 mit einem Waffenstillstand und dem Rückzug Russlands. Im Anschluss daran gewannen radikale islamistische Kräfte in dem krisengeschüttelten Land immer mehr an Einfluss. Unter dem Vorwand einer „Anti-Terror-Operation“ begann Russland ab 1999 den Zweiten Tschetschenienkrieg und eroberte unter Putins Leitung schnell große Gebiete. Grosny wurde fast vollkommen zerstört, aber in der Folge kam es zu langjährigen Guerillakämpfen und wiederholten Terrorakten gegen Russland. Offiziell strebte Russland darum zunehmend eine „Tschetschenisierung“ des Konfliktes an. Die russische Regierung zog ihre Truppen 2009 offiziell aus der Republik zurück und setzte eine pro-russische Regierung ein. Das Streben Tschetscheniens nach Unabhängigkeit kann als gescheitert gelten. Die beiden Tschetschenien-Kriege forderten zusammen weit über 100 000 Todesopfer.
Jelzin verfügte für den größten Teil seiner Amtszeit nicht über eine Mehrheit im Parlament. In den Parlamentswahlen von 1993 und 1995 gewannen seine Gegner, auch unter dem Eindruck der sozialen Umwälzungen, die für große Unzufriedenheit in der Bevölkerung sorgten. Seine Wiederwahl zum Präsidenten 1996 wurde zwar durch eine massive Medienkampagne erreicht, aber in den kommenden Jahren kam es immer wieder zu Regierungswechseln und politischen Krisen.
1998 musste Russland seine Zahlungsunfähigkeit erklären. Zum Jahresende 1999 verkündete Jelzin seinen Rücktritt, auch aus gesundheitlichen Gründen. Sein Nachfolger wurde sein letzter Ministerpräsident, Wladimir Putin.
Präsidialherrschaft unter Wladimir Putin
Wladimir Putin (geboren 1952) prägt seit einem Vierteljahrhundert die Politik Russlands. Unter Boris Jelzin wurde er Ministerpräsident und übernahm nach dessen Rücktritt kommissarisch das Amt des Präsidenten. Am 7.5.2000 wurde er zum Präsidenten gewählt und hat seither in Russland nach und nach eine zunehmend autokratische präsidiale Herrschaft etabliert. Verfassungsgemäße Beschränkungen seiner Amtszeit umging er durch diverse politische Manöver; so war er von 2008 bis 2012 Ministerpräsident unter Präsident Medwedew, behielt jedoch faktisch die Macht im Staat.
Zumindest zu Beginn seiner Herrschaft genoss Putin großen Rückhalt in der Bevölkerung durch seine geschickte Selbstinszenierung als „starker Mann”, der Russland aus der Krisenzeit in geordnete Verhältnisse führte und im Zweiten Tschetschenien-Krieg Erfolge feierte. Dabei profitierte er auch von der in den 1990er Jahren verbreiteten Sowjetnostalgie der Menschen, die unter den wirtschaftlichen Verwerfungen bei der Umstellung zur Marktwirtschaft litten.
Putin – Machtsicherung im Inneren
Durch verschiedene Maßnahmen und Entwicklungen konnte Putin seine Macht stärken und politische Gegner ausschalten:
die Etablierung einer sogenannten „Vertikale der Macht“: Durch die gezielte Ausschaltung föderaler Strukturen und konkurrierender Machtzentren stärkte Putin die Zentralmacht und damit seine autoritäre Herrschaft.
eine Erholung der Wirtschaft: Putin führte Wirtschaftsreformen durch, schränkte den Einfluss der Oligarchen ein, und profitierte außerdem von steigenden Rohstoffpreisen. Dadurch stabilisierte sich die wirtschaftliche Lage und der Lebensstandard stieg.
eine starke Kontrolle der Medien und der Meinungsfreiheit: Unter Putins Führung wurde die Presse- und Meinungsfreiheit stark eingeschränkt und die Propaganda durch Staatsmedien verstärkt. Regimekritiker und politische Gegner, wie Boris Nemzow oder Alexei Nawalny, wurden verfolgt und teils ermordet.
Karikatur – Putin hält die Medien an der kurzen Leine
Seit der globalen Wirtschaftskrise von 2008 sank Putins Beliebtheit und es kam in den Folgejahren immer wieder zu Protesten und Großdemonstrationen in Russland, die jedoch mit verstärkten Repressionen beantwortet wurden.
Putins Außenpolitik
Putin verfolgt eine Politik der militärischen Stärkung Russlands; er möchte das Land erneut als Großmacht etablieren. Dies kündigte er auf einer vielbeachteten Rede 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz an, in der er die von den USA etablierte „monopolare Weltordnung“ nach dem Ende des Kalten Krieges kritisierte.
Putins Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz 2007
Die Osterweiterung von NATO und EU durch die Aufnahme der baltischen Staaten und die Beitrittspläne von Seiten Georgiens, der Ukraine und Moldawiens lehnt Putin strikt ab und betrachtet sie als Bedrohung russischer Interessen. Dementsprechend strebt er eine Ausweitung des russischen Einflussbereiches an. Im Kaukasuskrieg von 2008 unterstützte er die abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien gegen die georgische Regierung. Auch Putins Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien ist als Teil einer aggressiven Großmachtpolitik zu werten.
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine
Die Ukraine erklärte sich im Jahr 1991 für unabhängig und kehrte damit der Sowjetunion den Rücken. Im Budapester Protokoll von 1994 übergab die ukrainische Regierung ihre Atomwaffen an Russland und erhielt dafür im Gegenzug territoriale Sicherheitsgarantien. 1997 schlossen die beiden Staaten einen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft.
Im Lauf der Zeit verschlechterte sich das Verhältnis, auch im Zuge der zunehmenden Annäherung der Ukraine an den Westen. 2014 kam es zur Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland. In der Folgezeit unterstützte Russland russische Separatistenbewegungen in der Ostukraine. Der vorläufige Höhepunkt des Konflikts begann mit er russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022. Mithilfe von westlicher Unterstützung kämpft die Ukraine seither gegen das russische Vordrängen an. Der Ukraine-Krieg ist der bisher deutlichste Ausdruck von Putins aggressiver Politik und seiner Selbstdarstellung als Kämpfer gegen die Ausbreitung westlicher Interessen.
Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion – Zusammenfassung
Unter der Regierung von Boris Jelzin wurde der Übergang zur Marktwirtschaft mit brachialer Gewalt betrieben, was zu starken sozialen Verwerfungen und zur Verfassungskrise von 1993 führte.
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