Zusammenleben im „Heiligen Land“
Das Heilige Land war während der Kreuzzüge ein Ort religiöser Konflikte, aber auch des friedlichen Zusammenlebens durch Handel und kulturellen Austausch. Möchtest du mehr erfahren? Lies weiter!
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Lerntext zum Thema Zusammenleben im „Heiligen Land“
Zusammenleben im „Heiligen Land“
Ist vom Zusammenleben von Christen, Muslimen und Juden im „Heiligen Land“ während der Kreuzzüge (11.–13. Jh.) die Rede, denken die meisten zunächst an religiöse Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen. Tatsächlich war diese Zeit geprägt von beispielloser Gewalt, Verwüstung und Verfolgungen von Andersgläubigen. Während der etwa 200 Jahre andauernden Herrschaft der Kreuzfahrer über Teile des „Heiligen Landes“ war daneben aber auch ein friedliches Zusammenleben möglich. Besonders der Handel brachte die Menschen über religiöse Grenzen hinweg zusammen, ebenso der Austausch von Wissen und Kultur.
Das „Heilige Land“
Als „Heiliges Land“, „Gelobtes Land“, „Gesegnetes Land“ oder hebräisch Kanaan bzw. Eretz Israel wird eine Region bezeichnet, welche das heutige Israel, die palästinensischen Gebiete und kleine Teile des heutigen Ägypten, Jordanien, Syrien und Libanon umfasst. Dem Alten Testament zufolge habe Gott dem Volk Israel das fruchtbare Land zwischen dem Mittelmeer und dem Fluss Jordan versprochen, weshalb es auch „Versprochenes Land“ genannt wird. Für die drei Weltreligionen Christentum, Islam und Judentum hat das „Heilige Land“ eine große Bedeutung, da sich viele heilige Stätten auf dessen Gebiet befinden. Einer der wichtigsten Orte im „Heiligen Land“ ist Jerusalem. Dort befinden sich z. B. die Grabeskirche mit dem Grab von Jesus Christus (wichtig für Christen), die Klagemauer, der Rest eines bedeutenden jüdischen Tempels, der von den Römern 70 n. u. Z. zerstört wurde (wichtig für Juden), und der Felsendom sowie die al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg, Heiligtümer des Islam (wichtig für Muslime).
Die Gesellschaft in den Kreuzfahrerstaaten
Nach der Eroberung des „Heiligen Landes“ im Ersten Kreuzzug (1096–1099) errichteten die christlichen Kreuzfahrer mehrere Kreuzfahrerstaaten (Königreich Jerusalem, Fürstentum Antiochia, Grafschaft Edessa, Grafschaft Tripolis). In den neu gegründeten Staaten stellten die Kreuzfahrer nur eine Minderheit neben der Bevölkerungsmehrheit dar, die sich durch religiöse und ethnische Vielfalt auszeichnete. Im Fürstentum Antiochia lebten z. B. viele Griechen und Armenier. Die muslimische Bevölkerung war im Königreich Jerusalem in der Mehrheit. Auch Juden lebten dort. Obwohl der Chronist und Teilnehmer des Ersten Kreuzzuges Fulcher von Chartres (1059–1127) behauptet, vormalige Abendländer seien schließlich zu Orientalen geworden, lebten Christen und Muslime eher nebeneinander als miteinander. Dies geht auch aus den Berichten des syrischen Schriftstellers Usama ibn-Munquid (1095–1188) hervor, der als einer der wichtigsten zeitgenössischen Chronisten der Kreuzzüge gilt.
Die Kreuzfahrer begriffen sich selbst als Mitglieder einer „frontier society“, einer Gesellschaft am Rande des eigenen Kulturkreises, den es zu verteidigen galt. Sie bezeichneten sich selbst als „Franken“, da viele von ihnen aus dem Frankenreich stammten. Die meisten Kreuzfahrer hielten sich als Pilger oder Händler nur für kurze Zeit im „Heiligen Land“ auf und kehrten bald in ihre Heimat zurück. Viele Kreuzfahrer, die im „Heiligen Land“ über Grund und Boden verfügten, ließen sich durch Statthalter vertreten und ihr Land von Lehnsnehmern bewirtschaften. Darunter waren auch Muslime. Nur wenige Kreuzfahrer ließen sich dauerhaft in den Kreuzfahrerstaaten nieder und verstanden sich selbst als Siedler oder Kolonisten. Unter ihnen waren viele „Glücksritter“, die Armut und Schulden in ihren Herkunftsländern entgehen wollten.
Die Ritterorden
Unser Bild von den Kreuzfahrern ist geprägt von den Ordensrittern. Sie stellten jedoch nur einen kleinen Teil der Kreuzfahrergemeinschaft dar, waren als Schutzmacht für Pilger, militärische Elite im Kampf gegen Andersgläubige und Diplomaten jedoch unverzichtbar für den Bestand der Kreuzfahrerstaaten. Zur Verteidigung der Kreuzfahrerstaaten ließen sie zahlreiche Burgen im „Heiligen Land“ erbauen (z. B. Belvoir und Krak des Cevaliers). Zu den wichtigsten Orden zählen die Templer, Johanniter sowie der Deutsche Orden.
Die Kluft zwischen den Kreuzfahrern und der einheimischen Bevölkerung war aufgrund religiöser Differenzen und kultureller Unterschiede groß. Bei der Eroberung Jerusalems 1099 waren die Kreuzfahrer erbarmungslos gegen die einheimische Bevölkerung vorgegangen. Andersgläubige wurden als Feinde des Christentums verfolgt, geplündert und getötet. Die Gewaltexzesse der Kreuzfahrer, von denen auch Frauen und Kinder nicht verschont wurden, wirkten noch lange nach und erschwerten ein friedliches Zusammenleben. Auch untereinander konkurrierten die Kreuzfahrerstaaten um die Vorherrschaft im „Heiligen Land“, was die Zusammenarbeit behinderte und die Kreuzfahrergemeinschaft insgesamt schwächte.
Wusstest du schon?
Kreuzzüge waren keine reine Männerangelegenheit. Auch Frauen zogen als Pilgerinnen, Ehefrauen, Nonnen, Dienerinnen, Marketenderinnen, Waschfrauen oder Prostituierte im Gefolge der Kreuzfahrer mit. Die französische Königin Magarete von Provence organisierte im Sechsten Kreuzzug (1248–1254) sogar eigenständig die Verteidigung der Hafenstadt Damiette im heutigen Ägypten und erwirkte die Freilassung ihre Mannes Ludwig IX. aus der Kriegsgefangenschaft.
Jerusalem unter islamischer Herrschaft
Im Jahr 1187 eroberte der muslimische Sultan Saladin (1137–1193) Jerusalem zurück. Nach einer etwa zweiwöchigen Belagerung der Stadt durch das den Kreuzfahrern zahlenmäßig weit überlegene muslimische Heer wurde Jerusalem kampflos übergeben. Gegen Zahlung eines hohen Lösegelds war es Christen möglich, ungehindert abzuziehen. Wer sich nicht freikaufen konnte, geriet in die Sklaverei. Der Sultan verbot jedoch Mord, Plünderung oder sonstige Racheakte an der christlichen Bevölkerung. Auch Witwen und Waisen gefallener Kreuzritter soll er finanziell unterstützt haben. Zudem verzichtete er auf die Zerstörung der Grabeskirche zum Zwecke der Machtdemonstration. Er gewährte den Christen und Juden später sogar den freien Zugang zu ihren heiligen Stätten und ermöglichte ihnen ein friedliches Leben in Jerusalem. Saladin wurde sowohl von Muslimen, als auch von Christen als Vorbild für einen weisen Herrscher anerkannt und gilt als Symbolfigur religiöser Toleranz.
Diplomatie unter Kaiser Friedrich II.
Auch christliche Herrscher bemühten sich um einen respektvollen Umgang mit der islamischen Kultur und deren Vertretern. Ein wichtiges Beispiel dafür ist der römisch-deutsche Kaiser Friedrich II. (1194–1250). Gegen den Willen des Papstes strebte er im Fünften Kreuzzug (1228–1229) diplomatische Kontakte zu den Muslimen an. Friedrich II. war selbst in einer multikulturellen Gesellschaft aufgewachsen und verfügte über Bildung und Sprachkenntnisse. Er passte sich im „Heiligen Land“ den islamischen Sitten an und behandelte den Sultan als gleichwertigen Vertragspartner. Die Bemühungen des Kaisers um eine friedliche Rückgewinnung Jerusalems waren erfolgreich. Im Frieden von Jaffa 1229 erlangte Friedrich II. Jerusalem zurück und garantierte der muslimischen Bevölkerung, weiterhin frei und unter einer eigenen Gerichtsbarkeit in Jerusalem leben zu können. Den Tempelberg mit dem Felsendom und der al-Aqsa-Moschee sollten die Muslime behalten dürfen.
Wusstest du schon?
Muslimische Wissenschaftler lieferten bereits im Mittelalter bedeutende Erkenntnisse für die Wissenschaft. So entwickelten sie z. B. das Zehnersystem, mit welchem wir noch heute rechnen. Dem persischen Mathematiker al-Biruni (973–1048) gelang es im 11. Jahrhundert, den Radius der Erdkugel auf 6 339,6 km zu berechnen, was eine Abweichung von nur 0,5 Prozent zum eigentlichen Erdradius von 6 371 km ergibt. Auch auf dem Gebiet der Medizin erzielten muslimische Gelehrte große Erfolge. Das medizinische Handbuch über Pocken und Masern des persischen Arztes Rhazes (864–925) gewann auch im Abendland Einfluss auf die medizinische Lehre. In den Zentren des islamischen Reiches (z. B. Bagdad, Córdoba, Kairo, Damaskus) wurden sogar staatlich geförderte Forschungseinrichtungen und Universitäten eingerichtet, was im 9. und 10. Jahrhundert zu einer Blüte der Wissenschaft führte.
Wissens- und Kulturtransfer
Die Kreuzfahrer trafen im „Heiligen Land“ auf eine hochentwickelte und in vielen Bereichen sogar überlegene Kultur. Vieles konnten sie von der einheimischen Bevölkerung lernen, vom Burgenbau über neue Techniken der Textilproduktion bis zur Kunst des Schachspiels. Die Begegnung mit der islamischen Kultur gab vielfältige Impulse für Entwicklungen auf den Gebieten der Medizin, Mathematik, Astronomie, Dichtung und Philosophie im christlichen Abendland. Arabische Sitten und Bräuche veränderten den Lebensstil der Ritter und führten zu einer Verfeinerung der ritterlich-höfischen Welt. So brachten die adligen Kreuzfahrer kostbare Stoffe, prächtige Teppiche und feines Porzellan aus dem „Heiligen Land“ zurück in die Heimat. Im Alltag war also durchaus ein friedlicher Austausch zwischen den Kulturen möglich.
Wusstest du schon?
Einige Wörter, die wir heute wie selbstverständlich benutzen, haben arabische Wurzeln. Denn Kreuzfahrer brachten nicht nur medizinisches Wissen oder Spiele aus dem „Heiligen Land“ nach Europa, sondern auch die Sprache der muslimischen Bevölkerung. Begriffe arabischen Ursprungs für Luxusartikel und Genussmittel (z. B. Alkohol, Damast, Kaffee, Limonade, Marzipan), Lebensmittel (z. B. Artischocke, Orange, Spinat, Zucker) und Gewürze (z. B. Kümmel, Muskat, Zimt) sowie für den Alltag (z. B. Gitarre, Jacke, Kittel, Matratze, Mütze, Pflaster, Sofa, Teppich) nutzen wir noch heute. Auch Begriffe aus dem Bereich der Mathematik (Algebra, Ziffer) und des Militärs (Admiral, Arsenal) stammen aus dem Arabischen.
Handel
Der Bedarf nach Waren aus dem „Heiligen Land“ war in Europa groß. Erlesene Gewürze und Lebensmittel, feine Stoffe wie Damast, Mohair und Taft, kunstvoll geknüpfte Teppiche sowie andere Luxusgüter waren bei europäischen Adligen und wohlhabenden Bürgern begehrt. Italienische Handelsstädte wie Venedig, Genua und Pisa kontrollierten bald den Orienthandel über das Mittelmeer. Sie errichteten italienische Kommunen als Handelsstützpunkte im „Heiligen Land“ und beteiligten sich mit ihren Flotten teilweise selbst an den Kreuzzügen. Durch den Orienthandel wurden diese Handelsstädte reich und mächtig.
Die italienische Hafen- und Handelsstadt Venedig |
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Zusammenleben im „Heiligen Land“ – Zusammenfassung
- Die christlichen Kreuzfahrer und die einheimischen Muslime lebten eher nebeneinander als miteinander im „Heiligen Land“.
- Kreuzfahrer (Ordensritter, Pilger, Händler, Siedler) waren in den Kreuzfahrerstaaten in der Minderheit. Ein großer Teil der Bevölkerung waren Muslime.
- Das Zusammenleben war oft gekennzeichnet von Konflikten. Durch Handel sowie den Transfer von Wissen und Kultur war aber auch ein friedlicher Austausch möglich.
- Die Kreuzfahrer profitierten vom Wissen und der Kultur der muslimischen Bevölkerung.
- Der Orienthandel führte zum Aufstieg italienischer Handelsstädte (Venedig, Genua, Pisa).
- Symbolfiguren für eine friedliche Verständigung der Kulturen sind z. B. Sultan Saladin und Kaiser Friedrich II.
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