Berlin Alexanderplatz (Döblin)
Alfred Döblin schrieb mit „Berlin Alexanderplatz“ den bedeutendsten deutschen Großstadtroman. Das literarische Werk wird dem Expressionismus und Naturalismus zugeordnet.
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- Entstehungsgeschichte
- Inhaltsangabe
- Personenkonstellation
- Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte
Entstehungsgeschichte
Am Berliner Alexanderplatz war schon in den 20er Jahren der Teufel los. Alfred Döblin schafft mit seinem Roman ein Großstadtportrait – durch die Augen seiner tragischen Romanfigur Franz Biberkopf. Alfred Döblin lebte zur Zeit der Weimarer Republik in den sogenannten Goldenen Zwanzigern. Damals, noch vor der Weltwirtschaftskrise, ging es Deutschland sehr gut. Berlin erlebte einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung und entwickelte sich zu einer Großstadtmetropole. In dieser Zeit entstand auch der U-Bahnhof Alexanderplatz, den es heute noch gibt. Trotz des Aufschwungs gab es viel Armut und Kriminalität. Döblin arbeitete als Arzt für arme Leute und war von den Schicksalen, die er sah, fasziniert. So entsteht „Berlin Alexanderplatz“, in dem er seine Inspiration aus seinem Arbeitsleben mit dem bunten Treiben der Stadt verwebt. Er schuf damit den bisher bedeutendsten deutschen Großstadtroman, aber vor allem auch ein Zeitdokument.
Inhaltsangabe
Franz Biberkopf, der aus Eifersucht seine Freundin erschlagen hatte, findet nun nach vier Jahren im Tegeler Gefängnis seinen Weg zurück ins Leben. Dieser Weg ist lang und schwer und von vielen harten Rückschlägen geprägt. Die Großstadt Berlin mit ihrem Häusergewirr, dem Menschentrubel, Zeitungs- und Reklamegeschrei, unterirdisch brodelndem Verbrechertum, Schlachthausdunst und Jazzrhytmen, Hurenwinkeln und Kaschemmenphilosophie, Zuhälterpack, Flittermoral und Lichterglanz ist übermächtig und sein eigentlicher Gegenspieler. Seinen Vorsatz, von nun an anständig zu leben, kann er nicht einhalten, weil er sehr leicht zu beeinflussen ist. Zunächst sieht es gut für ihn aus: Er hat eine Wohnung und verdient sein Geld als Zeitungshändler am Alexanderplatz. Er hat auch eine neue Freundin, Lina. Von ihrem Onkel wird er jedoch betrogen und so sehr enttäuscht, dass er zu trinken beginnt. Schließlich rafft er sich erneut auf und verkauft wieder Zeitungen. Doch verflucht scheint der Mensch, der sich auf Menschen verlässt: Biberkopf verlässt sich auf den Ungeeignetsten, auf Reinhold, den er in einer Bar kennenlernt. Von Reinhold wird er mit Frauen versorgt und in Verbrechen hineingezogen. Als er sich dagegen wehrt, stößt Reinhold ihn aus dem fahrenden Wagen. Biberkopf wird angefahren und verliert einen Arm.
Durch Freunde gerät Biberkopf an die Prostituierte Mieze und wird ihr Freund und Zuhälter. Er gelangt zu der Überzeugung, dass das Anständigbleiben in dieser Welt sich nicht lohnt, verstrickt sich weiter in dunkle Geschäfte und kommt auch wieder mit Reinhold in Kontakt. Als dieser von Mieze erfährt, will er sie für sich haben. Sie ist ihm zunächst auch zugeneigt, wendet sich aber ab, als sie erfährt, dass er den Verlust von Franz‘ Arm zu verschulden hat. Reinhold kann mit der Zurückweisung nicht umgehen,vergewaltigt und erwürgt sie und verscharrt sie daraufhin im Wald. Franz wird als vermeintlicher Täter gesucht und verhaftet, bricht zusammen und landet schließlich in der Irrenanstalt. Er spricht nicht mehr und wird zwangsernährt, aber erbricht alles, bis er zwischen Leben und Tod schwebt. Hier wird der Roman symbolisch: Der Tod will Franz in ein neues Dasein führen. Er erinnert ihn an verschiedene Stationen seines Lebens und macht ihn auf seine Schuld aufmerksam. Erst im Todeskampf empfindet Franz Reue über sein Verhalten. Er stirbt schließlich und wird als neuer Mensch geboren. Der Weg durch den Tod führt ihn zu neuer Freiheit. Endlich spricht Franz wieder und kann sich im Mordfall Mieze entlasten und wird freigesprochen. Er wird als tragischer Held gefeiert und beginnt ein neues Leben mit einer Anstellung als Hilfsportier.
Personenkonstellation
Der Protagonist Franz Biberkopf war ursprünglich Transport- und Zementarbeiter. Dementsprechend ist seine Statur groß und kräftig. Er ist etwas über 30, nicht sehr hübsch, sein Gesicht ist eher grob und er hat eine rote Nase. Womöglich, weil sein Laster der Alkohol ist. Sein Charakter ist gutmütig und einfach. Anderen Menschen begegnet er freimütig und naiv. Besonders von Reinhold lässt er sich leicht beeindrucken und manipulieren. Biberkopf ist angezogen und fasziniert von dem schlanken gewandten Mann mit den traurigen Augen und der stotternden Sprache. Er möchte sein Freund sein und ihm helfen. Reinhold hingegen ist nicht so naiv und treu und nutzt Biberkopf aus. Er wird schließlich zum Rivalen um Biberkopfs junge und mädchenhafte Geliebte Mieze. Doch Mieze liebt Biberkopf und möchte ihn unterstützen. Auch finanziell. So wird Biberkopf ihr Zuhälter und sie lässt sich gemeinsam mit ihm auf Reinholds Verbrecherbande ein. Aus früherer Zeit kennt Biberkopf Eva und Herbert. Das Ganovenpärchen steht ihm solidarisch bei und unterstützt ihn, zum Beispiel nach dem Sturz aus Reinholds fahrendem Wagen. Trotzdem bewahrt Biberkopf eine Distanz und baut keine tiefere Beziehung zu ihnen auf. Er bleibt so ein Einzelkämpfer, der sich hilflos in Verstrickungen verfängt.
Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte
Für einen ersten Interpretationsansatz gibt der Roman auf seinen letzten Seiten selbst entscheidende Anstöße. Döblin schreibt von einem Enthüllungsprozess der besonderen Art. Was wird enthüllt? Döblin spricht metaphorisch von einer Straße, die Biberkopf anders geht als wir (die Leser). Er stößt gegen Bäume und presst die Augen zusammen, wodurch er immer heftiger gegen Bäume stößt und die Augen immer fester schließt. Schließlich gelangt er mit eingeschlagenem Kopf ans Ende der Straße, fällt hin, öffnet die Augen und kann im Licht der Laterne nun das Straßenschild lesen. Metaphorisch gesprochen war sein Leben eine dunkle Allee, durch die er blind mit Versehrungen und Verletzungen stolperte. Erst am Tiefpunkt angelangt öffnet er die Augen. Sein Weg ist also ein Weg der Erkenntnis, aus der Dunkelheit zum Licht.
Eine weitere Interpretation arbeitet den Prozess von der Unmündigkeit zur Mündigkeit oder – mit anderen Worten – von der Schuldunfähigkeit zur Schuldfähigkeit heraus. Franz Biberkopf ist lange nicht zum Erkennen von Schuld, zum verantwortlichen Handeln und kritischen Denken fähig. Sein Leben ist wie ein Sog aus Ereignissen, die er nicht steuern kann, in die er hilflos hineingerissen ist. Erst ganz am Ende, am Tiefpunkt, erkennt er seine Schuld, wird mündig und verantwortungsvoll. Es ist nicht nur die Geschichte von einem, der von der Dunkelheit zum Licht findet, sondern Biberkopf erkennt noch etwas Entscheidendes: Er ist nicht allein auf der Welt. So wächst auch sein Bewusstsein für die soziale Umwelt. Gleich nach dem Erscheinen (1929) war „Berlin Alexanderplatz“ ein großer Erfolg und wurde bald in andere Sprachen übersetzt. Bis 1933 wurden 50 000 Exemplare gedruckt. Im Jahre 1930 erschien ein erstes Hörspiel und 1931 eine erste Verfilmung, an der Döblin persönlich mitwirkte. Während der Zeit des Nationalsozialismus war der Roman verboten. Als Rainer Werner Fassbinder in den 70er Jahren eine Fernsehserie zu „Berlin Alexanderplatz“ drehte, gewann der Roman erneut an Popularität. Mit „Berlin Alexanderplatz“ erreichte Döblin, der das Arbeiter- und Gangstermilieu und seine Sprache genau kannte, einen Höhepunkt expressiver naturalistischer Sprachgestaltung. Die verschiedenen Handlungsstränge sind in Montagetechnik mit wechselnden sprachlichen Mitteln des Berliner Jargons, der Bibelsprache, Werbeslogans, Zeitungsdeutsch etc. verwoben. Auch diese Vielsprachigkeit ist gänzlich auf den kleinen Mann Biberkopf bezogen, der schließlich über sich hinauswächst. Döblin zeichnete mit dieser Figur, ohne es zu ahnen, den typischen Mitläufertypus, der in der wenig später beginnenden Schreckenszeit vorherrschte.
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