„Die Marquise von O....“ – Entstehungsgeschichte (Kleist)
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Grundlagen zum Thema „Die Marquise von O....“ – Entstehungsgeschichte (Kleist)
Wie Kleist von den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen seiner Zeit beeinflusst wurde, zeigt Dir dieses Video. Zudem stellt es Werke mit ähnlichen Motiven von unwissend schwangeren Frauen auf, die den Autor wahrscheinlich inspiriert haben. Dabei ist besonders deutlich und interessant zu sehen, wie Heinrich von Kleist daraus eine vielschichtige und komplexe Novelle macht.
Transkript „Die Marquise von O....“ – Entstehungsgeschichte (Kleist)
“Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz!” “Politische Mitbestimmung der Bürger!”
Kleist lebte in einer Zeit grundlegender wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Veränderungen. Neue Ideen der Aufklärung wie die Souveränität des Volkes, einer Gewaltenteilung im Staat sowie Gleichheit vor dem Gesetz stellten die absolutistische Herrschaft und ihre Gesellschaft, die in Stände geteilt war, in Frage.
In Frankreich hatten sich die Akteure der Revolution dies als Ziele einer neuen Regierung gesetzt. Diese Werte zählen wir heute zu den Grundwerten einer demokratischen Gesellschaft. Bevor Kleist seine Novelle “Die Marquise von O....” im Jahr 1807 schrieb, führten Preußen und Österreich immer noch Krieg gegen Napoleon Bonaparte, der beabsichtigte ganz Europa allein zu beherrschen.
Demokratischer Wandel
Kleist reflektiert in seiner Erzählung die sozialen Verhältnisse in der damaligen Gesellschaft. Was bedeutete der Wandel, den wir heute als demokratischen bezeichnen, zu seiner Zeit? Das Bürgertum wird wirtschaftlich, geistig und politisch zur führenden Gesellschaftsschicht, Unterschiede zwischen den sozialen Gruppen bleiben allerdings bestehen.
Bürgerliche Moral und Sittlichkeit
Es entwickelt sich in dieser Zeit eine bürgerliche Moral, besser: eine Sittlichkeit. Die Familie steht im Mittelpunkt, deren Oberhaupt der Vater ist. Frauen sind den Ehemännern rechtlich unterworfen, es herrscht ein sogenanntes Patriarchat.
Zwar propagiert das Bürgertum Liebesheirat statt Zwangsehe, Sexualität wird aber nur innerhalb der Ehe geduldet und führt sonst zu sozialer Ächtung. Eine uneheliche Schwangerschaft ist eine Schande für die ganze Familie. Für die Frau bedeutete dies, den Ausschluss aus der Gesellschaft. Verwitwete Frauen wie Kleists Marquise von O.... sind automatisch wieder von ihren Eltern abhängig.
Kleist thematisiert in seiner Novelle aber nicht nur die Stellung der Frau in der sich entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft. Zahlreiche Begriffe und Ideen der bürgerlichen Utopie wie Liebe, Menschlichkeit, Schönheit, Selbstbewusstsein oder Selbstständigkeit werden darin auf die Probe gestellt.
Motiv - Unwissende Schwangerschaft in anderen Texten
Für seine Novelle bedient sich Kleist dem Motiv der unwissenden Schwangerschaft. Es findet sich in einer Reihe von Texten wieder, die Kleist gelesen haben könnte.
Allen voraus eine Anekdote aus Michel de Montaignes “Essai über die Trunksucht” von 1588. Darin wird eine betrunkene Witwe geschwängert, ohne es zu merken, und sucht öffentlich den Vater, den sie heiraten möchte.
Handelt es sich bei Montaignes um eine Bäuerin und einen Knecht, also Angehörige der Unterschicht, wählte Kleist mit der Marquise und dem Grafen Angehörige der Oberschicht. Bei Montaignes haben wir durch die Heirat einen sozialen Aufstieg des Knechts, bei Kleist einen sozialen Aufsteig der Marquise - sie wird Gräfin.
Weitere Parallelen
“Die Marquise von O...” weist außerdem geringe Parallelen zu zwei weiteren Novellen auf: Zum einen handelt es sich um die Geschichte einer entführten Frau, die im Zustand einer Ohnmacht entjungfert wird, zum anderen um eine Erzählung über die Schwängerung einer aufgebarten Scheintoten. Allen Geschichten gleich ist, dass der Vater des schuldhaft gezeugten Kindes später erkannt und mit der Mutter vermählt wird.
Eine namensgleiche Heldin sowie eine ähnliche Vater-Tochter-Beziehung zu “Die Marquise von O...” findet sich auch in einem Roman von Jean-Jacques Rousseaus von 1761:
In “La Nouvelle Hélois” unterhält die Heldin Julie ein verbotenes Liebesverhältnis zu ihrem Hauslehrer. Als der Vater diesen entfernen möchte, gerät er in Streit mit der Mutter. Julie mischt sich ein und verletzt sich heftig durch eine Ohrfeige des Vaters. Der Vater ist schuldbewusst, seine Tochter setzt sich zärtlich auf seinen Schoß.
Hier ist die Tochter aktiv und ergreift die zärtliche Initiative. Bei Kleist ist die Tochter passiv und der Vater initiiert die intensive körperliche Versöhnung. Kleist verstärkt also die erotische Komponente und klammert die Perspektive der Tochter aus. Unverkennbar hat Kleist sich auch an den bürgerlichen Trauerspielen und Rührstücken seiner Zeit orientiert, die damals die Bühnen beherrschten.
Dort stand die bürgerliche Familie mit ihren Moralvorstellungen im Mittelpunkt, die sich gegen den sittlich verkommenen Hoch- und Hofadel richteten. Typische Motive waren: das Vater-Tochter-Verhältnis, der adelige Draufgänger, der das tugendhafte bürgerliche Mädchen verführt sowie die ehrgeizige Mutter, die durch die Verbindung ihrer Tochter mit dem Adel ihren eigen sozialen Aufsteig fördert.
Interessant ist auch Kleist Zusatz im Untertitel “Nach einer wahren Begebenheit, deren Schauplatz vom Norden in den Süden verlegt wurde.” Diese Bemerkung könnte auf eine Aussage Goethes zurückgeführt werde, der seinerzeit einen Wahrheitsanspruch propagierte.
Zusammenfassung
Heinrich von Kleists Novelle “Die Marquise von O...” entstand zu einer Zeit grundlegender wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Veränderungen. Das Bürgertum wurde zur führenden Gesellschaftsschicht, in deren Mittelpunkt die Familie und das Patriarchat sowie eine gewisse sittliche Moral stand.
Kleists Novelle reflektiert dieses Moralverständnis sowie die Situation der Frau in dieser Gesellschaft und benutzt dazu demonstrativ Figuren und Konflikte des bürgerlichen Rührstückes.
Außerdem findet sich das Motiv der unwissenden Schwangerschaft mit anschließender Vatersuche in mehreren Texten des späten 18. Jahrhunderts, z.b. bei Montaignes. Kleists Novelle wurde zu seiner Lebzeit zweimal in unterschiedlichen Fassungen abgedruckt.
Schluss
Nicht zuletzt zeigt Kleist die Widersprüchlichkeit von Gut und Böse in einer Person, auch in der Marquise. Zur Verdeutlichung fügte er der Buchfassung ein Epigramm hinzu:
“Dieser Roman ist nicht für dich, meine Tochter. In Ohnmacht! / Schamlose Posse! Sie hielt, weiß ich, die Augen bloß zu.”
„Die Marquise von O....“ – Entstehungsgeschichte (Kleist) Übung
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Gib den historischen Kontext von Kleists Novelle „Die Marquise von O....“ wieder.
TippsHeinrich von Kleist lebte von 1777 bis 1811.
Von 1792 bis 1815 dauerten die sogenannten napoleonischen Kriege an. Napoleon strebte einen Revolutionsexport in ganz Europa an.
Die Ständegesellschaft geriet durch Aufklärung und Revolution in die Kritik und veränderte sich. Die bürgerliche Schicht prägte das politische und kulturelle Leben zunehmend.
Das Bürgertum pflegte strenge Regeln des Zusammenlebens. Vor- und außereheliche Sexualität oder Schwangerschaften brachten insbesondere Frauen einen gesellschaftlichen Ausschluss ein.
LösungHeinrich von Kleist (1777-1811) schrieb seine Novelle „Die Marquise von O....“ im Jahr 1807. Aufklärung und Französische Revolution hatten in Frankreich für eine demokratische Wende gesorgt. Allerdings verfolgte Napoleon Alleinherrschaftsansprüche und führte Krieg in ganz Europa.
Zu dieser Zeit entwickelte die Schicht des Bürgertums zunehmend Selbstbewusstsein und wirkte spürbar am kulturellen und politischen Leben der Gesellschaft mit. Auch wenn Klassenunterschiede zum Adel weiterhin bestehen blieben, prägte das Bürgertum den sozialen Kodex (bürgerliche Sittlichkeit), um sich vom als sittenlos verachteten Adel abzugrenzen.
Außereheliche Sexualität und voreheliche Schwangerschaften führten in der Regel zum gesellschaftlichen Ausschluss der Frau.
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Benenne die zentralen Inspirationsquellen der Novelle „Die Marquise von O....“.
TippsEs ist davon auszugehen, dass Kleist Werke der französischen Literatur kannte, in denen unwissentliche Schwangerschaften und Vater-Tochter-Verhältnisse thematisiert werden.
Die Geschichte der Marquise von O.... ist allerdings fiktiv und stammt von Kleist selbst.
Bürgerliche Rührstücke galten als bedeutendste Gattung der Aufklärung. In ihnen spielte der Antagonismus zwischen bürgerlicher und adliger Schicht eine wichtige Rolle.
Das Bürgertum zeichnete sich durch strenge soziale Regeln aus. Vor allem Frauen hatten wenig Selbstbestimmungsrecht und bei sozialen Fehltritten eine harte Ächtung zu fürchten.
LösungFür seine Novelle bedient sich Heinrich von Kleist des Motivs der unwissenden Schwangerschaft. In einer Anekdote aus Michel de Montaignes „Essay über die Trunksucht“ (1588) wird von einer betrunkenen Witwe erzählt, die, ohne es zu merken, geschwängert wird. Öffentlich sucht sie den Vater des Kindes und möchte ihn heiraten.
Eine namensgleiche Heldin sowie eine ähnliche Vater-Tochter-Beziehung findet sich auch in Jean-Jacques Rousseaus Roman „La Nouvelle Hélois“ (1761). Dort unterhält die Heldin Julie ein verbotenes Verhältnis zu ihrem Hauslehrer, entzweit sich zunächst und versöhnt sich daraufhin aber wieder mit ihrem Vater.
Im bürgerlichen Trauerspiel der Aufklärung stand die bürgerliche Familie mit ihren Moralvorstellungen im Mittelpunkt. Diese richteten sich gegen den als sittlich verkommen geltenden Hoch- und Hofadel.
Das im bürgerlichen Moralkodex vorherrschende Patriarchat räumte dem Mann (und Vater) die höchste soziale Stellung ein. Die Frau (insbesondere die Tochter) hatte kein Selbstbestimmungsrecht. Kleist kritisiert diesen Umstand in seiner Novelle.
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Zeige, inwiefern folgende Entstehungskontexte Eingang in Kleists Novelle gefunden haben.
TippsDer Begriff „Patriarchat“ bezeichnet die gesellschaftliche Stellung des Mannes über der Frau. Häufig geht das mit Machtansprüchen des Mannes und der Unterdrückung der Frau einher.
Das Motiv der unwissenden Schwangerschaft taucht schon beim französischen Philosophen Michel de Montaigne im 16. Jahrhundert auf.
Der französische Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau beschreibt in seinem Roman „La Nouvelle Hélois“ eine sehr zärtliche Versöhnung von Vater und Tochter.
Im bürgerlichen Trauerspiel der Aufklärung gerät eine junge, bürgerliche Frau häufig durch einen adligen Mann in moralische Misskredite, z.B. in Lessings „Emilia Galotti“.
LösungFolgende Entstehungskontexte haben Heinrich von Kleists Novelle „Die Marquise von O....“ geprägt:
- Das Patriarchat im 18. und 19. Jahrhundert, also die Herrschaft des Mannes über die Frau, spiegelt sich deutlich in der Handlung der Novelle wieder. Der Vater besitzt die Macht, seine Tochter aus seinem Haus zu verjagen, als sie unehelich und unbeabsichtigt schwanger wird.
- Das zentrale Motiv der unwissenden Schwangerschaft entlehnte Kleist wahrscheinlich einer Anekdote des französischen Philosophen Michel de Montaigne. Die Marquise wird vom Grafen F.... vergewaltigt, ohne dies jedoch bewusst wahrgenommen zu haben. Als sie schwanger ist, kann sie sich die Umstände nicht erklären. Das Motiv zeigt die Ohnmacht der Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft auf.
- Die Beziehung des Vaters zur Marquise erinnert an Jean-Jacques Rousseaus Roman „La Nouvelle Hélois“. Die zärtliche Versöhnung von Vater und Tochter nach anfänglicher Entzweiung ist in beiden Texten erotisch aufgeladen.
- Kleists Novelle rezipiert Aspekte des bürgerlichen Trauerspiels, das in der Aufklärung entstanden ist. Thematisiert werden hier die (moralischen) Gegensätze zwischen Bürgertum und Adel. In Kleists Novelle stürzt der Graf F.... die bürgerliche Marquise dadurch ins Unglück, dass er sie vergewaltigt und sie in Folge dessen schwanger wird. Ihre Familie verstößt sie daraufhin.
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Erläutere, wieso Kleists Novelle fortschrittlich mit dem Thema „uneheliche Schwangerschaft“ umgeht.
TippsDie sozialen Regeln des Bürgertums um 1800 erlaubten Sexualität nur in der Ehe.
Obwohl die Marquise von O.... durch eine Vergewaltigung unehelich schwanger wird, verfällt sie nicht in Depressionen, sondern entwickelt Eigenständigkeit. Sie geht mit ihrem Schicksal sogar an die Öffentlichkeit.
Der Inhalt der Novelle sorgte bei ihrem Erscheinen für Empörung.
LösungDie Regeln des Bürgertums im 18. und 19. Jahrhunderts erlaubten Sexualität nur in der Ehe. Somit waren Schwangerschaften, die außerhalb einer Ehe zustande kamen, sittenwidrig und ein Grund für den sozialen Ausschluss der Frau. Häufig begingen betreffende Frauen Suizid oder Kindsmord.
Obwohl die Hauptfigur in Kleists Novelle unwissend unehelich schwanger und daraufhin von ihrem Vater vertrieben wird, entwickelt sie Selbstbewusstsein. Sie veröffentlicht ihr Schicksal in einer Zeitungsannonce und sucht nach dem Vater des Kindes.
Es kann also gesagt werden, dass die Novelle für ihre Zeit sehr fortschrittlich mit dem Thema „uneheliche Schwangerschaft“ umgeht. Der Text erzeugte daher bei den Lesern seiner Zeit viel Empörung.
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Nenne wichtige Regeln der bürgerlichen Moralvorstellungen um 1800.
TippsDie intakte und angesehene Familie war für das Bürgertum um 1800 ein hohes Gut.
Wurde die Tochter allerdings unehelich schwanger, wurde sie häufig aus der Familie verstoßen.
Dabei hatte der Vater die Rolle des Familienoberhauptes, während die Mutter ihm untergeordnet war.
LösungWichtige Moralvorstellungen des Bürgertums um 1800 waren:
- Das Ansehen der Familie stand im Mittelpunkt.
- Der Vater galt als Familienoberhaupt. Es herrschte ein sogenanntes Patriarchat.
- Die Liebesheirat wurde der Zwangsehe vorgezogen.
- Sexualität war nur in der Ehe erlaubt. Uneheliche Schwangerschaften führten zu sozialer Ächtung.
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Arbeite aus folgender Textstelle die zentralen Motive von Kleists Novelle heraus.
TippsKleists Novelle lässt sich mit Hilfe verschiedener historischer Kontexte verstehen. Dazu zäheln z.B. die Rolle der Frau im Bürgertum und die bürgerlichen Sitten.
Das bürgerliche Trauerspiel ist eine der bedeutendsten Gattungen der Aufklärung. Kleist entnimmt ihr verschiedene Handlungsaspekte.
LösungHast du die Textstelle wiedererkannt? Es handelt sich um den ersten Satz der Novelle „Die Marquise von O....“. Hier werden bereits einige zentrale Motive und Kontexte der Novelle angedeutet.
- Der Leser erfährt bereits, dass im Zentrum der Handlung eine unwissende Schwangerschaft steht.
- Die Frau, der dieses Schicksal widerfahren ist, wird als sehr tugendhaft vorgestellt. Diese Konstellation erinnert an einen Figurentypus des bürgerlichen Trauerspiels, in dem eine bürgerliche, junge Frau von einem als sittenlos gekennzeichneten Adligen ins Unglück gestürzt wird. Das ist auch in der Novelle der Fall. Beim gesuchten Vater des Kindes handelt es sich um einen russischen Grafen.
- Ungewöhnlich ist dabei, dass die Marquise recht selbstbewusst mit ihrem Schicksal umgeht und es mittels einer Zeitungsannonce öffentlich macht. Schon zu Beginn des Werkes macht Kleist deutlich, dass er auch die Selbstbestimmung der Frau in den Fokus rückt, die in der Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts untergraben wurde.
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