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Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg

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Lerntext zum Thema Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg

Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg

Wenn heute in Deutschland darüber debattiert wird, wie mit Menschen umzugehen ist, die aus ihren Heimatländern vertrieben wurden oder vor Krieg und Gewalt fliehen, wird oft vergessen, dass diese Erfahrung vor nur wenigen Generationen auch viele Deutsche betraf. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden über 12 Millionen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten zu Flüchtlingen oder Opfern von Zwangsumsiedlungen. Schon zuvor waren unzählige Menschen von den Nationalsozialisten deportiert oder vertrieben worden. Unter anderem deshalb wird das 20. Jahrhundert oft als „Jahrhundert der Flüchtlinge” bezeichnet.

Flucht oder Vertreibung?

Die erzwungene Umsiedlung der deutschen Bevölkerung Osteuropas konnte je nach Ort oder Situation verschiedene Formen annehmen. Bereits in den letzten Kriegsjahren waren immer mehr Menschen auf der Flucht vor der vorrückenden Roten Armee der Sowjetunion, die für ihr brutales Vorgehen gegenüber der Zivilbevölkerung berüchtigt war. Die offiziellen Autoritäten waren dabei nicht immer hilfreich. Zwar wurden teilweise gezielt Evakuierungen angeordnet; gerade in Ostpreußen zögerten getreue NS-Beamte jedoch teilweise die Flucht viel zu lange hinaus und gefährdeten damit das Leben der Menschen.

„Flüchtlinge” vs. „Vertriebene”

In der Praxis ist es oft schwer zu unterscheiden, ob Menschen vertrieben wurden oder sich aus Angst vor Gewalt selbst auf die Flucht begeben haben. Unabhängig davon sagt die Art, wie man über diese Menschen spricht, oft mehr über die eigene Einstellung oder das politische Kalkül des Sprechenden aus. So wird und wurde der Begriff „Flüchtling“ oft herabwertend oder sogar als Schimpfwort verwendet. Bezeichnungen wie „Vertriebene” oder „zwangsumgesiedelte Menschen” drücken dagegen mehr Respekt vor dem Schicksal der Betroffenen aus. Im Englischen spricht man in der Regel von displaced persons (DP).

In vielen Gebieten kam es gleich nach der Befreiung von den deutschen Besatzungstruppen zu sogenannten „spontanen“ oder „wilden Vertreibungen“, bei denen die deutsche Bevölkerung gewaltsam aus ihren Häusern und Wohnorten verjagt wurde. Auf der Konferenz von Potsdam im Juli/August 1945 beschlossen die Siegermächte dann auf Verlangen der polnischen und tschechoslowakischen Exilregierungen die systematische Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung. Die Oder-Neiße-Linie als künftige deutsche Ostgrenze wurde zunächst nur vorläufig anerkannt.

Motive der Vertreibung

Woher kamen die Forderungen nach Vertreibung und Zwangsumsiedlung? Man kann mehrere Motive unterscheiden, die dabei zum Tragen kamen.

  • Eine große Rolle spielte das Streben nach Vergeltung für die deutsche Besetzung der betroffenen Gebiete und das Verhalten der Deutschen als Besatzungsmacht. Durch Terror, Deportationen und Bevorzugung der deutschsprachigen Bevölkerung hatten die Nationalsozialisten ein Klima geschaffen, das von Hass und antideutscher Stimmung geprägt war.
  • Gerade in Polen ging es darum, durch die Umsiedlung politisch vollendete Tatsachen zu schaffen. Der russische Diktator Stalin war nicht gewillt, die von der Sowjetunion besetzten polnischen Gebiete wieder abzutreten und setzte darum eine Westverschiebung Polens durch.
  • Viele osteuropäische Staaten strebten die Schaffung eines ethnisch einheitlichen Nationalstaates an, da das Vorhandensein von Minderheiten als destabilisierender Faktor gesehen wurde. Auch die in der Tendenz antikommunistische Einstellung der deutschen Bevölkerung war von den neuen Machthabern nicht erwünscht.
  • Nicht zuletzt spielten auch materielle Gründe eine Rolle. Der Besitz der Vertriebenen wurde beschlagnahmt, was teils auch als Ausgleich für die erlittenen Schäden durch die deutsche Besatzung gesehen wurde.

Herkunft der Vertriebenen

Im Chaos der Nachkriegszeit lassen sich nur schwer genaue Zahlen bestimmen. Man kann aber insgesamt von mindestens 12 Millionen Flüchtenden und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten ausgehen. Sie kamen mehrheitlich aus Ostpreußen, Hinterpommern, Schlesien und der Neumark sowie aus dem tschechischen Sudetengebiet. Dazu kamen einzelne Regionen im heutigen Polen, Ungarn, Rumänien und anderen südosteuropäischen Ländern, in denen deutsche Minderheiten lebten. Das angestrebte Ziel der meisten Menschen war das deutsche Reichsgebiet, bevorzugt die von den Westmächten besetzten Zonen.

Woher kamen die Vertriebenen?

Leiden auf der Flucht und bei der Vertreibung

Der Weg in den Westen gestaltete sich schwer und gefährlich; man schätzt, dass mindestens 60 000 Menschen dabei ums Leben kamen. Die meisten Menschen mussten zu Fuß oder mit Pferdefuhrwerken fliehen und dabei den Großteil ihres Besitzes zurücklassen.

Auch die zwangsumgesiedelten Menschen durften nur das Nötigste mitnehmen. Innerhalb kürzester Zeit mussten sie ihre wichtigsten Besitztümer packen und ihr Zuhause an Vertreibungskommandos übergeben. In Sammellagern mussten sie unter menschenunwürdigen Bedingungen auf den Transport per Eisenbahn in den Westen warten.

Ein Tag im DP-Lager

Die Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen und Hinterpommern litten besonders unter dem eisig kalten Winter und unter den Angriffen der Roten Armee, die extrem rücksichtslos vorging. So wurden Flüchtlingszüge bombardiert oder Schiffe voller hilfloser Menschen in der Ostsee versenkt.

Integration in Ost und West

Auch nach ihrer Ankunft war das Schicksal der Menschen oft hart. Etwa 8 Millionen Menschen verteilten sich auf die drei westlichen Besatzungszonen, während sich 4 Millionen in der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, niederließen. Damit bildeten sie einen Anteil an der Gesamtbevölkerung von ca. 24%.

Die einheimische Bevölkerung litt selbst unter dem Krieg und seinen Folgen; dazu kamen Unterschiede in Dialekt, religiöser Konfession und Lebensstil, so dass sie den Neuankömmlingen oft misstrauisch oder ablehnend gegenüberstanden. Die Vertriebenen wurden in Notunterkünften und Flüchtlingslagern untergebracht und mussten oft hungern. Die Erfahrung des sozialen Abstiegs blieb für viele von ihnen prägend. Umgekehrt führte sie in der Folgezeit oft zu einer hohen Leistungsorientierung, gekennzeichnet durch das Streben nach einem Eigenheim. Teilweise entstanden komplett neue Siedlungen.

Vertriebene Deutsche im Jahr 1945
Vertriebene Deutsche

In der Bundesrepublik konnten die Vertriebenen sich in Verbänden wie dem Bund der Vertriebenen oder der Sudetendeutschen Landsmannschaft organisieren und so politischen Einfluss gewinnen. So erreichten sie schließlich auch die Bewilligung eines finanziellen Lastenausgleichs durch den Staat, der zumindest einen Bruchteil des verlorenen Vermögens wett machte. Im Gegensatz dazu waren Flucht und Vertreibung in der sowjetisch dominierten DDR ein Tabuthema: Man sprach beschönigend von „Umsiedlern“. Für viele Menschen blieb ihre Erfahrung ein lebenslanges, nie richtig aufgearbeitetes Trauma.

Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg — Zusammenfassung

  • Zum Ende des Zweiten Weltkrieges mussten etwas 12 Millionen Menschen aus den deutschen Ostgebieten ihre Heimat verlassen und in die vier alliierten Besatzungszonen umsiedeln, oft unter entsetzlichen Bedingungen.
  • Die Übergänge zwischen Flucht und Vertreibung waren dabei fließend. Manche flohen vor der Roten Armee, andere wurden von der örtlichen Bevölkerung vertrieben, wieder andere systematisch auf der Grundlage der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz umgesiedelt.
  • Die Herkunftsgebiete der Vertriebenen waren die ehemaligen deutschen Ostgebiete beziehungsweise die von Deutschland im Kriegsverlauf besetzten Gebiete.
  • Zu den wichtigsten Gründen für die Vertreibung zählten die Rache an der verhassten Besatzungsmacht, die Westverschiebung Polens und das Streben nach einem ethnisch homogenen Staat.
  • Die Integration in ihrer neuen Heimat gestaltete sich für viele Menschen schwierig und langwierig, wird jedoch rückblickend im Allgemeinen als geglückt betrachtet.
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